1300 Pflanzen, mehr als 300 Jahre alt, getrocknet zwischen hunderten Buchseiten – das umfasst das Herbarium Ruperti, eine Sammlung gepresster und eingeklebter Pflanzen aus dem späten 17. Jahrhundert. Ein interdisziplinäres Forschungsprojekt der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel in Kooperation mit dem Institut für Pflanzenbiologie der TU Braunschweig und dem Zentrum Klimaforschung Niedersachsen will nun dieses historische Pflanzenarchiv erforschen und den darin enthaltenen Bestand aus verschiedenen Standorten in Niedersachsen digitalisieren, botanisch erschließen und wissenschafts- wie kulturhistorisch analysieren. Die Forschungsergebnisse könnten einen Einblick in Klimaveränderungen der Vergangenheit bieten und Erkenntnisse über die historische Biodiversität in Niedersachsen liefern.
Im Oktober 2024 ist an der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel (HAB) das auf drei Jahre angelegte interdisziplinäres Forschungsprojekt „Zeugnis geistlicher Naturkunde und Archiv historischer Biodiversität - Das Herbarium Ruperti (1700)“ angelaufen. In dem Kooperationsprojekt der HABmitdem Institut für Pflanzenbiologie der Technischen Universität Braunschweig und dem Zentrum Klimaforschung Niedersachsens soll das über 300 Jahre alte Herbarium Ruperti mit umfangreichem Pflanzenbestand aus dem heutigen Niedersachsen restauriert, digitalisiert, botanisch erschlossen und wissenschafts- wie kulturhistorisch analysiert werden. Finanziert wird das Projekt vom Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur durch die (Sonder-)Förderlinien „Kulturelles Erbe“ und „Restaurierungs- und Konservierungsaufgaben in Landes- und Hochschulbibliotheken“) sowie durch die Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz. Die Projektlaufzeit beträgt drei Jahre.
Dass es bei dem Forschungsvorhaben auf die Expertise vieler verschiedener Fachwissenschaften ankommt, weiß Dr. Thomas Biskup, Leiter des Projekts an der Herzog August Bibliothek: „Geschichtswissenschaften, Biologie, Restaurierungswerkstatt und Digital Humanities arbeiten in diesem Projekt auf mehreren Ebenen zusammen, um das Herbarium für die Zukunft zu konservieren, zu digitalisieren, und multiperspektivisch zu erforschen.“
Zeugnis von vorindustrieller Biodiversität
„Die im Herbarium aufbewahrten Pflanzen bieten einen Einblick in die Flora Niedersachsens um 1700 und erlauben es damit, den Wandel regionaler Biodiversität und Veränderungen in Bewuchs und Klima über mehr als 300 Jahre hinweg zu untersuchen, bevor Industrialisierung und Klimawandel die Biodiversität durch Habitatverluste, die Vernichtung von Arten und Verunreinigungen von Luft und Boden reduzierten“, so Biskup weiter.
Herbarien wurden – zunächst im Umfeld italienischer Universitäten – seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert angelegt. Da die ersten Bestandsaufnahmen regionaler Flora in Deutschland jedoch erst um 1800 entstanden, stellt das Herbarium Ruperti eine einzigartig frühe Sammlung niedersächsischer Pflanzen dar. Das Herbarium wurde von dem protestantischen Geistlichen Georg Andreas Ruperti um 1700 angelegt und enthält etwa 1.300 getrocknete Pflanzen aus dem heutigen Niedersachsen. 2019 konnte die Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel das Buch mit Sondermitteln des Landes Niedersachsen aus britischem Privatbesitz erwerben.
Fragil und biozidbelastet
Vor der wissenschaftlichen Analyse der enthaltenen Pflanzen muss das Herbarium zunächst restauriert werden. Behandlungen des Buches im 19. und 20. Jahrhundert haben es höchst fragil gemacht. Zudem ist es biozidbelastet. Die Restaurierung wird durch ein Team der Stabsstelle Erhaltung und Restaurierung der Herzog August Bibliothek durchgeführt. Anschließend wird das Herbarium von einem spezialisierten externen Dienstleister digitalisiert. Das Digitalisat wird in der Wolfenbütteler Digitalen Bibliothek (WDB) eingestellt und so der Forschung frei zugänglich gemacht.
Nach der Digitalisierung werden die im Herbarium Ruperti enthaltenen Pflanzen im Institut für Pflanzenbiologie der Technischen Universität Braunschweig botanisch bestimmt und die Fundorte der Pflanzenteile lokalisiert, wodurch eine historische Bestandsaufnahme der regionalen Flora möglich wird. „Das wird aufgrund der Behandlung des Herbariums mit diversen hochgiftigen Substanzen eine besondere Herausforderung sein“, erklärt Prof. Robert Hänsch vom Institut für Pflanzenbiologie. „In einigen Fällen ist es auch notwendig, die herbarisierten Pflanzen mittels Vergrößerung (Lupe, Mikroskop) am Präparat zu identifizieren, da sie für das bloße Auge nicht zweifelsfrei bestimmbar sind“ ergänzt Prof. Dietmar Brandes.
Als weiterer Kooperationspartner des interdisziplinären Projekts ist das Zentrum Klimaforschung Niedersachsen (ZKfN) dabei. Gemeinsam mit der Pressestelle der Herzog August Bibliothek unterstützt das ZKfN in der Öffentlichkeitsarbeit und dabei, das Netzwerk weiter auszubauen.
Einblicke in Kultur-, Umwelt- und Wissenschaftsgeschichte
Ein historischer Rückblick zur Entwicklung der einheimischen Flora ist gleich aus mehreren Gründen besonders wertvoll und liefert wichtige Grundlagen für Arbeiten der Archäobotanik [Anm. d. Red.: Schnittstelle zwischen Archäologie und Botanik]. So profitieren etwa die Arbeit von Samenbanken und Methodiken zur Auswertung von historischen Pflanzenfunden von den zu erwartenden Projektergebnissen. Nicht zuletzt bietet das Herbarium einen Einblick in die Stressphysiologie einheimischer Baumarten und ermöglicht so ein Verständnis in die Reaktion historischer Pflanzenarten auf Klimaveränderungen der Vergangenheit.
Gleichzeitig zur pflanzenbiologischen Erforschung wird das Herbarium kultur-, umwelt- und wissenschaftshistorisch untersucht. Der Autor Ruperti war jahrzehntelang am britischen Hof in London tätig und agierte über geistliche Netzwerke im globalen Aktionsradius der pietistischen Bewegung, für die auch Austausch und Untersuchung naturkundlicher Objekte aus allen Weltteilen selbstverständlich war. Die botanischen Sammel- und Ordnungslogiken werden so in ihren sozialen, kulturellen und wissensgeschichtlichen Kontext gestellt und das Gefüge von Natur und Religion, sozialer Ordnung und Wissensordnung diskutiert.
Zur Projektwebsite:
https://www.hab.de/zeugnis-geistlicher-naturkunde-und-archiv-historischer-biodiversitaet/
Ansprechpartner:innen
- Prof. Dietmar Brandes und Prof. Robert HänschInstitut für Pflanzenbiologie und Botanischer Garten, Technische Universität Braunschweig
- Katharina Zickwolf, M.A. / M.A.Geschäftsführerin
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